Beruf mit Risiken
Lehrer belastet ihr Beruf mehr, als dies etwa unter Polizisten oder Feuerwehrleuten der Fall ist. Der Psychologe Uwe Schaarschmidt von der Universität Potsdam hat gemeinsam mit seinem Team die Gründe erforscht und entwickelt neue Unterstützungsangebote für diese besonders gefährdete Berufsgruppe.
von Uwe Schaarschmidt
Auf einen Blick
Last statt Lust
1 Der Lehrerberuf birgt hohe Belastungen, vor allem für die Psyche: Nur 17 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer hier zu Lande sind den Anforderungen gewachsen; fast 60 Prozent lassen gesundheitliche Risiken erkennen.
2 Lehrerinnen sind den Gefährdungen stärker ausgesetzt als ihre männlichen Kollegen, was auch mit ihren erhöhten Ansprüchen an die Qualität der sozialen Beziehungen zu tun hat.
3 Um den Belastungen entgegenzuwirken und die Lehrergesundheit zu fördern, sollten Pädagogen ihre berufliche Eignung ständig weiterentwickeln. Zudem gilt es, zahlreiche Arbeitsbedingungen an den Schulen zu verbessern.
Als Andrea Berger* ihren Schuldienst antritt, ist sie begeistert. Das Kollegium der Hauptschule begrüßt die neue Lehrerin herzlich, und auch die Schüler akzeptieren sie. Nicht zuletzt findet sie mit einer neu gegründeten Theatergruppe die Anerkennung der Schüler und Kollegen. Doch schon im folgenden Jahr wird die Schule mit einer anderen zusammengelegt. Andrea Berger trifft es hart: Sie kann ihre Theatergruppe nicht weiterführen, vor allem aber hat sie nun viele ältere Schüler, die keine Lust am Lernen haben und den Unterricht stören. Der jungen Frau geht die Freude an ihrem Beruf mehr und mehr verloren.
Schon während ihrer Schulpraktika und im Referendariat hatte sie mitunter Probleme, sich in einer Klasse durchzusetzen. Damals hoffte sie, das würde sich mit zunehmender Routine geben. Doch nun enden etliche Stunden im Chaos, und auch die anfangs lernwilligen Schüler lassen sich immer öfter von den Unruhestiftern anstecken. Einige Eltern beschweren sich über ihrer Meinung nach unangebrachte Strafarbeiten und schlechte Zensuren, die Frau Berger in ihrer Not verteilt.
Auch die Kollegen zeigen wenig Verständnis für die Disziplinprobleme, mit denen die Lehrerin zu kämpfen hat. Sie hat das Gefühl, mit niemandem darüber sprechen zu können. Hinzu kommt, dass ihre eigene dreijährige Tochter viel Zuwendung und Zeit beansprucht, weil sie häufig krank wird.
Andrea Berger korrigiert Klassenarbeiten oft bis in die Nacht. Der Trubel in der Schule wird ihr zum Graus. Sobald der Unterricht vorbei ist, flüchtet sie nach Hause. Am nächsten Morgen fährt die einst idealistische Pädagogin nur widerwillig und voller Angst wieder in die Schule. Kopfschmerzen plagen sie, gelegentlich ist ihr übel. Früher habe sie gern mit Freunden und Kollegen gescherzt, sagt sie. Inzwischen sei ihr das Lachen vergangen.
Mit 35 Jahren befindet sich Andrea Berger in einem fortgeschrittenen Stadium des Burnout – ein Schicksal, das sie mit vielen teilt: Lehrerinnen und Lehrer brennen so häufig am Arbeitsplatz aus, wie das kaum für eine andere Berufsgruppe gilt. Das hat nicht nur für die Lebensqualität der Pädagogen fatale Folgen; Lehrer mit angeschlagener psychischer Gesundheit bringen auch nicht die nötige Kraft auf, um ihre Schüler zum aktiven Mitarbeiten und zum Lernen zu motivieren.
Warum leiden Lehrer besonders oft unter Burnout? Noch immer ist in der Öffentlichkeit die Meinung verbreitet, die meisten Pädagogen müssten doch nur den halben Tag arbeiten – bei vollem Gehalt –, und lange Ferien genössen sie auch noch. Die Realität sieht anders aus. Lehrer sind hohen Belastungen und damit auch großen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt.
Ein wichtiger Faktor, der den Lehrerberuf so belastend macht: Sie müssen ständig mit anderen Menschen zurechtkommen und tragen für sie Verantwortung. Berufe, in denen dies der Fall ist, gehören generell zu den anstrengendsten, denn Gedanken und Gefühle, die aus zwischenmenschlichen Beziehungen resultieren, sind häufig intensiver und nachhaltiger als solche, die sich beim Umgang mit Akten oder Maschinen einstellen. Sie machen es schwerer, sich vom Berufsalltag zu distanzieren und in der Freizeit zur Ruhe zu kommen. Das gilt umso mehr, wenn – wie im Lehramt – oft negative Emotionen im Spiel sind: Ärger, Enttäuschung, Kränkungen oder Angst.
Bei Lehrerinnen und Lehrern kommt verstärkend hinzu, dass die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmt. Oft bereiten sie ihren Unterricht am Abend oder am Wochenende vor und korrigieren Klassenarbeiten zu Hause. Und in der Schule selbst fehlt es erst recht an Erholungsmöglichkeiten. Der Schulalltag verlangt meist über Stunden hinweg volle Präsenz und Aufmerksamkeit, ohne dass Entspannungsphasen dazwischengeschaltet wären. Die Unterrichtspausen bringen üblicherweise wenig Entlastung; Trubel und Lärm sorgen dann mitunter für noch mehr Stress.
* Name von der Redaktion geändert.
Burnout: Nur wer entflammt war, kann ausbrennen
Obwohl wir von einem Burnoutmuster sprechen, wird man nicht jedem Lehrer, der unter Erschöpfung, Überdruss und Resignation leidet, mit der Diagnose »Burnout« gerecht. Es gilt, der inflationären Verwendung dieser Diagnose entgegenzuwirken. Von Burnout kann nur die Rede sein, wenn der Weg vom »Brennen« zum »Ausbrennen« geführt hat – wer nie entflammt war, kann schwerlich ausbrennen.
Wir haben dies über einen Zeitraum von drei Jahren verfolgt: Jeder vierte Befragte, der zunächst das Anstrengungsmuster (siehe rechts) gezeigt hatte, war bei der Nacherhebung dem Burnoutmuster zuzuordnen. Hier kann man mit gutem Grund von einem Burnoutprozess sprechen, da Überengagement in Resignation umschlug. Eine fast gleich große Gruppe (23 Prozent) wechselte aber von der Schonungshaltung zum Erleben von Resignation und Erschöpfung. Diese Entwicklung hat mit Burnout nicht zu tun! Vielmehr zeigt sich, dass auch das Agieren auf Sparflamme zum Gesundheitsrisiko werden kann – auch deshalb, weil die Betreffenden viel Kritik und abnehmende soziale Unterstützung erfahren.
Und schließlich fanden sich auch diejenigen in diesem problematischen Muster wieder, die bereits mit Überforderungserleben und Versagensängsten in den Beruf eingestiegen waren. Diese für den Lehrerberuf von Anfang an wenig geeigneten Personen tragen dazu bei, dass sich das Burnoutmuster im Längsschnitt als das stabilste erweist.
Frust mit Folgen
Entgegen allen Vorurteilen arbeiten Lehrerinnen und Lehrer zumeist mehr als andere Arbeitnehmer, wie fast alle einschlägigen Analysen zeigen. Auch längere Ferien können Belastungseffekte, die sich über Wochen und Monate aufschaukeln, nicht kompensieren. Auf Dauer lässt die psychische Widerstandskraft vieler Lehrer nach, sie werden unausgeglichen und können die Arbeit kaum hinter sich lassen.
Die Langzeitfolgen dieser Situation offenbarten sich in einer großen Erhebung, die wir an der Universität Potsdam in den Jahren 1999 bis 2006 durchführten. Untersuchungen vergleichbaren Umfangs gibt es in anderen Ländern bislang nicht. Soweit auch dort Studien vorliegen, kommen sie allerdings zu ähnlichen Ergebnissen. An unserer »Potsdamer Lehrerstudie« nahmen rund 16 000 Lehrkräfte aus dem ganzen Bundesgebiet teil. Dazu kamen 2500 Lehramtsstudierende und Referendare. Um Vergleiche zu ermöglichen, befragten wir auch 1500 Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Ländern, außerdem 8000 Vertreter weiterer Berufsgruppen.
Sie alle bearbeiteten unter anderem das von uns entwickelte Testverfahren AVEM (»Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster «). Es erfasst etwa, wie wichtig einem Menschen die eigene Arbeit ist, wie perfektionistisch oder ehrgeizig er zu Werke geht – aber auch, wie gut er beruflichen Stress hinter sich lassen kann und welche Gefühle er mit seiner Arbeit verbindet.
Das Verfahren erlaubt die Unterscheidung nach vier Mustern des Verhaltens und Erlebens, die das Arbeitsengagement, die psychische Widerstandskraft sowie die Emotionen gegenüber dem Beruf wiedergeben. Darin zeigt sich, ob jemand auf gesunde Weise mit den Belastungen des Berufs umgeht oder ob gesundheitliche Risiken mit der Berufsausübung verbunden sind. Man kann die vier Muster mit den Begriffen Gesundheit, Schonung, Anstrengung und Burnout bezeichnen.
Dieses Muster ist durch hohes, doch nicht exzessives berufliches Engagement, Widerstandskraft gegenüber Belastungen und positive Emotionen gekennzeichnet. Betroffene Lehrerinnen und Lehrer haben auch die besten psychischen Voraussetzungen, um erworbenes Wissen und Können pädagogisch wirksam umzusetzen.
Charakteristisch ist hier geringes Engagement bei gleichzeitig mittlerem Niveau hinsichtlich der Widerstandskraft und Stimmungslage. Sehr häufig spielt dabei die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen eine Rolle. Zwar signalisiert dieses Muster in der Regel kein gesundheitliches Risiko, doch kann es im Lehrerberuf (mehr als in anderen Berufen) ein Hindernis für erfolgreiches Arbeiten sein. Denn hier kommt es verstärkt auf Motivierungsfähigkeit an, die wiederum hohe eigene Motivation voraussetzt.
Dieses Muster kennzeichnet überhöhtes Engagement bei verminderter Widerstandsfähigkeit und eher negativen Emotionen. Lehrerinnen und Lehrer mit diesem Muster sind gesundheitlich gefährdet, weil sie sich selbst überfordern. Wegen ihrer hohen Einsatzbereitschaft werden sie zwar oft geschätzt, doch bleiben überhöhte Anstrengung und Verleugnung von Erholungsbedarf auf Dauer nicht ohne Folgen. Es stellen sich vermehrt körperliche Beschwerden ein, und nicht selten ist der Übergang zum folgenden Risikomuster Burnout zu verzeichnen.
Hier herrschen permanent Gefühle der Überforderung, Erschöpfung und Resignation vor. Das Arbeitsengagement ist eingeschränkt, den Belastungen können die Betroffenen kaum mehr standhalten. Die Arbeit wird vor allem mit negativen Gefühlen verbunden. Dieses Muster entspricht den letzten Stadien eines Burnout-Prozesses, allerdings muss es auch nicht immer Folge einer solchen Entwicklung sein (siehe Kasten „Burnout: …“). Es versteht sich, dass Vertreter dieses Typus kaum noch gute Lehrer sein können. Soweit noch Kraft vorhanden ist, dient sie dazu, irgendwie über die Runden zu kommen.
Wie verteilen sich diese Muster nun unter Lehrerinnen und Lehrern? Wir haben hier auch einen Vergleich mit Angehörigen anderer Berufe vorgenommen, die ebenfalls starker psychosozialer Beanspruchung ausgesetzt sind. Einbezogen wurden Beamte von Polizei, Feuerwehr und Strafvollzug, Pflegepersonal aus Krankenhäusern sowie Existenzgründer, die im Begriff waren, ein Unternehmen mit mehreren Mitarbeitern aufzubauen.
Die Abbildung 1 lässt erkennen, dass die Lehrerschaft besonders ungünstige Verteilung aufweist. Zum einen ist der Anteil des wünschenswerten Gesundheitsmusters gering, zum anderen kommen die Risikomuster Anstrengung und Burnout gehäuft vor. Der hohe Anteil des durch Resignation und Erschöpfung gekennzeichneten Burnoutmusters ist besonders bedenklich. In keiner anderen der untersuchten Berufsgruppen ist es so stark vertreten.
Zwischen den Regionen innerhalb Deutschlands ergaben sich kaum Unterschiede, die Beanspruchungsverhältnisse sind landesweit offenbar ähnlich. Auch für die verschiedenen Schulformen sind nur geringe Differenzen auszumachen – sofern der Anteil von Männern und Frauen vergleichbar ist. Denn Frauen zeigen einen höheren Anteil von Risikomustern.
Dafür gibt es mehrere Erklärungen. So spielt oft die Doppelbelastung der Frauen durch Beruf und Familie noch immer eine wichtige Rolle. Zudem zeigt sich, dass Lehrerinnen mehr als ihre männlichen Kollegen der Qualität der sozialen Beziehungen – vor allem im Verhältnis zu ihren Schülern – einen hohen Stellenwert einräumen. Das ist einerseits eine Stärke, die viele Frauen in diesen Beruf einbringen. Andererseits macht sie dies auch verletzlicher gegenüber problematischem Schüler- oder auch Elternverhalten.
Die Nöte der Lehrerinnen und Lehrer beginnen schon früh, wie Abbildung 2 illustriert. Bereits für die Lehramtsstudierenden finden wir eine problematische Musterverteilung – etwa im Vergleich mit angehenden Wirtschaftswissenschaftlern und Psychologen. So lässt sich fast ein Viertel der angehenden Lehrer (auch der Referendare) dem Risikomuster Burnout zuordnen. Vermehrt finden sich bereits im Studium deutliche Handikaps in Bereichen, die für den Lehrerberuf unverzichtbar sind: etwa in der emotionalen Stabilität, im Selbstvertrauen und im Durchsetzungsvermögen.
Auch der Anteil des Musters Schonung gibt zu denken. Hierin drücken sich vor allem Motivationsdefizite aus. Nach unserer Erfahrung signalisieren sie oft Unzufriedenheit mit dem Studium. Wie die Schonhaltung auch zu Stande gekommen sein mag – in jedem Fall ist sie eine ungünstige Voraussetzung für den Lehrerberuf, verlangt doch gerade dieser ein hohes Maß an Motivations-, ja Begeisterungsfähigkeit. Und das setzt eine starke Eigenmotivation voraus.
Mit zunehmendem Alter verdüstert sich das Bild weiter: Der Anteil des Burnoutmusters nimmt zu, der des Gesundheitsmusters sinkt. Erst bei der ältesten Gruppe (über 55 Jahre) sieht es wieder etwas besser aus. Das liegt vor allem daran, dass die am stärksten beeinträchtigten Kolleginnen und Kollegen inzwischen aus dem Berufsleben ausgeschieden sind.
Unsere Daten zeigen, dass Lehrerinnen und Lehrer erhöhten Risiken für die psychische Gesundheit ausgesetzt sind. Wir haben deshalb in der Folge der Potsdamer Lehrerstudie Unterstützungsangebote entwickelt, die den gesundheitlichen Gefährdungen entgegenwirken sollen. Eines der Angebote zielt darauf ab, Interessenten am Lehrerberuf sowie Lehramtsstudierende zu gründlicherem Nachdenken über ihre beruflichen Voraussetzungen und zu gezielten Entwicklungsanstrengungen zu befähigen (siehe Kasten „Nicht blind ins Lehramt …“). Berufliche Eignung ist nämlich nach unserer Überzeugung nichts Statisches; sie lässt sich auch entwickeln und verbessern.
Nicht blind ins Lehramt – ein Modellversuch
Wir haben mehrere Bausteine entwickelt, um die Eignung für den Lehrerberuf frühzeitig zu erkennen und zu fördern. Dies geschah unter anderem im Rahmen eines von der ZEIT-Stiftung initiierten Pilotprojekts an der Universität Hamburg:
1. Entscheidungshilfen für Abiturienten
Mit dem Selbsteinschätzungsfragebogen »Fit für den Lehrerberuf?« (FIT-L) können Abiturienten, die am Lehramtsstudium interessiert sind, ihre berufliche Eignung prüfen. Der Test erfasst Merkmale, auf die es in diesem Beruf ankommt, darunter psychische Stabilität, Aktivität, Motivation und Motivierfähigkeit sowie sozial-kommunikative Kompetenzen. Die Selbsteinschätzung lässt sich durch eine Fremdeinschätzung ergänzen, indem beispielsweise ein Lehrer des Vertrauens den Schüler mit dem gleichen Bogen beurteilt. Selbst- und Fremdbild werden dann im Gespräch gegenübergestellt, Übereinstimmungen und Abweichungen gemeinsam besprochen.
2. Selbstreflexion und Übungen für Lehramtsstudierende
Ermutigt durch die Erfahrungen mit FIT-L entwickelten wir ein internetbasiertes Verfahren, das Lehramtsstudierenden helfen soll, sich über ihre persönlichen Voraussetzungen für den Lehrerberuf klarer zu werden und sie zu verbessern, genannt FIT-L(P). Die Einschätzungen orientieren sich hier an den Erlebnissen und Beobachtungen im Praktikum. Wiederum werden Selbst- und Fremdeinschätzung gegenübergestellt. Als Fremdeinschätzer fungieren in diesem Fall die Praktikumsmentoren. Mit ihnen gemeinsam werden dann auch Schritte besprochen, die die persönlichen Entwicklungsbemühungen der Studierenden unterstützen können.
3. Kompetenztrainings
Weitere Angebote dienen der Kompetenzentwicklung über gezielte Übungen. So werden bereits den Studienanfängern Möglichkeiten geboten, in Rollenspielen wichtige kommunikative Anforderungen des schulischen Alltags zu bewältigen. Mit auf dem Programm stehen zum Beispiel konfliktbeladene Gespräche mit Schülern, Eltern oder auch Kollegen. Alle Teilnehmer werden aktiv einbezogen, entweder als Akteur oder als Beobachter. Von besonderem Gewicht ist ein spezielles Training, das der Entwicklung eines noch breiteren Spektrums berufsrelevanter Kompetenzen dient. Es wendet sich insbesondere an die Studierenden, die nach Auswertung der Praktikumserfahrungen gezielt an sich arbeiten wollen. Grundlage bildet das Potsdamer Trainingsmodell, das im Rahmen einer fünftägigen Veranstaltung in Kleingruppen mit bis zu zwölf Personen realisiert wird. Es geht hier um Kommunikation, Zeit- und Selbstmanagement, systematische Problemlösung, Zielverfolgung und Entspannung.
Mehr Informationen unter: www.coping.at
Kompetenz beugt vor!
Die Eignungsfrage beschränkt sich nicht auf den Lehrernachwuchs. Auch die bereits im Beruf stehenden Pädagogen sollten stetig an der Vervollkommnung ihrer beruflichen Voraussetzungen arbeiten. Ob sich ein Lehrer überfordert und ausgebrannt fühlt, hängt nach unseren Ergebnissen auch stark davon ab, wie kompetent er den Anforderungen des Berufs gegenübertritt. Bei den Risikomustern, vor allem dem Burnoutmuster, lassen sich hier klare Defizite ausmachen: Die Betroffenen bescheinigen sich oft Schwierigkeiten in der Kommunikation speziell mit Schülern und Eltern, und sie verweisen häufiger als andere Lehrkräfte auf fachliche und didaktische Mängel. Kurzum: Auch über die stetige Vervollkommnung der professionellen Kompetenzen kann gesundheitlichen Gefährdungen vorgebeugt werden.
Von besonderem Gewicht ist die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Lehrerberufs. Da ist zunächst an die Rahmenbedingungen zu denken, die mehr oder weniger allen Lehrerinnen und Lehrern das Leben schwermachen. Dazu zählt erstens die häufige Überforderung durch schwer zu bewältigende Erziehungsaufgaben. Hier könnten kleinere Klassen helfen. Mehr Psychologen, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter an den Schulen würden ebenfalls Entlastung bringen. Hier ist vor allem mehr Unterstützung seitens der Politik gefordert.
Zweitens gilt es den durch ständige Veränderungen im Bildungssystem, immer neue Reformen und Reförmchen verursachten Druck auf die Lehrerschaft zu verringern. Pädagogische Arbeit braucht auch Kontinuität, Ruhe und Muße. Manche Neuerungen überlegter und behutsamer einzuführen, dürfte unterm Strich sogar Geld sparen.
Und drittens gilt es, an allen Schulen zumutbare Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte zu schaffen. Hier ist vor allem der längst überfällige persönliche Arbeitsplatz zu fordern: Nur wenn solche Arbeits- und Rückzugsräume zur Verfügung stehen, kann der angemessene Wechsel zwischen be- und entlastenden Phasen des Unterrichtstags erfolgen. So kann in der Arbeitszeit erledigt werden, was bisher den Abend und das Wochenende belastet und damit Erholung außerhalb der Schule oft unmöglich macht.
Wenn es um die Arbeitsbedingungen geht, darf man nicht bei der Forderung nach günstigeren Rahmenbedingungen stehen bleiben. Ein Kollegium hat auch viele Möglichkeiten, seine Arbeitsverhältnisse selbst zu gestalten. Ein entscheidender Faktor ist der zwischenmenschliche Umgang: An Schulen, wo wir vermehrt günstige Beanspruchungsmuster feststellten, herrschte fast ausnahmslos auch ein gutes soziales Klima. Die Beziehungen im Kollegium waren hier durch Offenheit, Interesse füreinander und gegenseitige Unterstützung gekennzeichnet. In einem solchen Klima wird dem Gefühl vorgebeugt, als Einzelkämpfer auf verlassenem Posten zu stehen, was vielen Lehrkräften zu schaffen macht.
Klimawandel in der Schule
Besondere Bedeutung kommt nach unseren Befunden der Schulleitung zu. Wenn die Lehrer den Eindruck haben, dass das Direktorium sie unterstützt und mit ihnen zusammenarbeitet, finden wir in der Regel auch intakte zwischenmenschliche Beziehungen im Kollegium vor. Und diese wiederum können die Wirkung belastender Faktoren des Arbeitsalltags abmildern. Eine Konsequenz daraus ist, dass sich über die Qualifizierung der Schulleitungen in Fragen der Personalführung auch günstige gesundheitliche Effekte erzielen lassen.
Es steht außer Frage, dass an vielen Schulen noch ungenutzte Möglichkeiten schlummern, die Situation durch gemeinsame Anstrengungen zu verbessern. Um Lehrerinnen und Lehrern zu helfen, ihre Arbeitsverhältnisse selbst unter die Lupe zu nehmen und die richtigen Schlüsse für den Schulalltag zu ziehen, erarbeiteten wir das Programm »Denkanstöße!«. Dieses Programm bietet den einzelnen Lehrkräften und der Schule im Ganzen Möglichkeiten, die vorhandenen Ressourcen, aber auch die zu überwindenden Schwächen deutlich zu machen und die dafür geeigneten Maßnahmen in Angriff zu nehmen. Es liefert nach den bisherigen Erfahrungen eine solide Grundlage, um die Bedingungen vor Ort zum Besseren zu verändern. Im Übrigen sehen wir auch einen engen Zusammenhang zwischen den Aufgaben, die auf verbesserte Arbeitsbedingungen abzielen, und den Bemühungen, geeigneten Lehrernachwuchs zu gewinnen. Denn wenn es uns gelingt, den Lehrerberuf attraktiver zu machen, wird er auch noch mehr junge Leute anziehen, die darin einen Weg zur Selbstverwirklichung sehen.
Uwe Schaarschmidt ist emeritierter Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Potsdam.
COPING OG – Psychologischer Diagnostik und Personalentwicklung
Untere Hauptstraße 30
2485 Wampersdorf
Österreich
Quellen
Schaarschmidt, U. (Hg.): Halbtagsjobber? Psychische Gesundheit im Lehrerberuf. Analyse eines veränderungsbedürftigen Zustandes. Beltz, Weinheim 2005.
Schaarschmidt, U., Kieschke, U. (Hg.): Gerüstet für den Schulalltag. Psychologische Unterstützungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer. Beltz, Weinheim 2007.
Lehberger, R., Schaarschmidt, U.: Eignungsberatung für Lehramtsstudierende – ein Pilotprojekt an der Universität Hamburg. In: Journal für Schulentwicklung 4/2009.
Schaarschmidt, U.: Gestaltung der Arbeitszeit und Schaffung von Arbeitsplätzen – zwei Kernaufgaben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lehrerinnen und Lehrern. In: Neue Praxis der Schulleitung. Raabe, Stuttgart 2010.
Weblink
www.ichundmeineschule.eu
Offizielle Webseite des Programms »Denkanstöße!«